Mi., 20. April 2016, 18:30 Uhr
Hörsaal S1, Schloss
Nach den Anschlägen von Paris und Brüssel durch den Islamischen Staat:
Terror und neuer Krieg gegen den Terror
Vortrag und Diskussion mit einem
Gastreferenten der Zeitschrift GegenStandpunkt
Die Anschläge vom November mit 130 Toten in Paris und deren Fortsetzung mit 35 Toten in Brüssel machenden „Islamischen Staat“ endgültig zum Feind von „uns allen“ – den Franzosen, den Europäern, ja der zivilisierten Menschheit, zu einem Feind, der seine Vernichtung nicht nur verdient, sondern zum allgemeinen Bedürfnis macht. Das schließt oben und unten, Staatsmacht und regiertes Volk im Westen perfekt zusammen.
- Die mörderischen Märtyrer des IS nieten in der „Hauptstadt des Lasters“ beliebige Passanten in Cafés, Sportstätten und Rockschuppen um, die sie als Repräsentanten Frankreichs ins Visier nehmen, als Vertreter eines zugleich ungläubigen und mächtigen Landes, das daheim und überall die Anhänger des wahren Glaubens unterdrückt. So – als Kreuzzug der Ungläubigen gegen die muslimische Gemeinde – nehmen sie den weltbeherrschenden Imperialismus des kapitalistischen Westens wahr; und als Macht des falschen Glaubens bekämpfen sie ihn. Sie töten Pariser, weil hinter deren lasterhaftem, unislamischem Leben die französische Staatsmacht steht, die sie bedrückt: „Das ist für Syrien!“, riefen die Attentäter, als sie im Konzertsaal in die Menge schossen. Und zu den Anschlägen in Brüssel bekennt sich der IS mit dem „Versprechen“, dass allen „Kreuzfahrernationen schwarze Tage drohen“, die „Krieg gegen den Islam führen“.
- Der Präsident Frankreichs sieht in den toten Landsleuten die Souveränität seines Staates angegriffen – verbucht deren verlorene Leben als Stellvertreter der verletzten französischen Hoheit, die er wiederherzustellen hat. Auch von den Toten in Brüssel weiß er: „Europa war das Ziel“. Dass seine Polizisten und Geheimdienste die innere Sicherheit nicht garantieren, innere und äußere Feinde nicht von vornherein zur Wirkungslosigkeit verdammen konnten, das gilt ihm als eine unerträgliche Beschädigung des staatlichen Machtanspruchs, die nur durch die Vernichtung des politischen Subjekts zu heilen ist, zu dessen Ehre die französischen Muslime ihre Massenhinrichtung vollführten. 130 tote Franzosen rechtfertigen nun einen Krieg um Syrien, den Irak und die staatliche Neuordnung des Nahen Ostens, dessen Opfer garantiert niemand mehr zählt.
- Die Organe der demokratischen Öffentlichkeit verstehen die Attentate als Kampfansage an „unseren Lebensstil“. Auch sie nehmen die Opfer als Repräsentanten für Höheres, nämlich für „unsere Art zu leben“. „Wir alle“ sind angegriffen, nicht als Staatsbürger, sondern – fundamentaler – als Menschen mit einer modernen Lebensauffassung. Die alltäglichen Gewohnheiten, in die man sich – in Frankreich oder Belgien nicht viel anders als hierzulande – beim Arbeiten, Geldeinteilen und in der Freizeit so einhaust, darf und soll man als Ausdruck einer höheren Gemeinsamkeit beweihräuchern, in der alle Insassen dieses schönen Landes sich zusammenfinden. Der „französischen Lebensart“ mit ihren typischen Lebenskünstlern stellt die Presse die rätselhaften und lustfeindlichen Selbstmordattentäter gegenüber, die angeblich nichts anderes wollen, als fremde Sünden wie Kaffee trinken, Fußball schauen und Musik hören nicht nur mit dem fremden, sondern auch noch mit dem eigenen Tod zu bestrafen. Aus Respekt vor den Opfern müssen „wir“ unseren Lebensstil gegen die todessüchtigen Attentäter verteidigen, indem wir nun erst recht Kaffee trinken, Fußball gucken und tanzen gehen. Der Staat bekommt in diesem Kulturkampf insoweit eine Rolle, als er natürlich nötig ist, um diesen wunderbaren Lebensstil zu schützen; wofür er wiederum unsere ganze Unterstützung im Kampf um die Selbstbehauptung seiner Macht im globalen Maßstab verdient. Die Bürger, so die Presse, haben sich selbst als persönliche Feinde dieser Feinde des Westens zu verstehen und allen Ernstes zu glauben, dass es um ihre ganz besonderen Lebensgewohnheiten geht, wenn Frankreich zusammen mit andern Großmächten Bomben auf die vom IS gehaltenen Regionen wirft und im Innern des Landes zur radikalen Terrorbekämpfung schreitet.
Höchste Zeit, bei so viel Identität auseinander zu sortieren,
- was Frankreich, Europa und die USA am blutigem Staatsgründungskrieg des IS so ganz anders und so viel unerträglicher finden als an den anderen, die sie fördern und ausnutzen;
- worum sie im Nahen Osten mit ihrem Bombenkrieg ringen;
- und wie sich deshalb der „Schutz der Bürger vor dem Terror“ gestaltet, den europäische Staaten ihren Bürgern mit Notstandsmaßnahmen und Gesinnungsüberwachung zuteil werden lassen.