Mittwoch, 12. November 2014, 18:30 Uhr
Hörsaal S8, Schloss
Krise und Gewalt 2014
Die aktuelle Fassung des Zusammenhangs von weltweiter Marktwirtschaft und Krieg
Vortrag und Diskussion
Es gehört zu den Gemeinplätzen der historischen Bildung, dass die Zeiten großer Krisen des Kapitalismus kriegsträchtig sind; dass Krise „zu Krieg führt“. 2014, das achte Jahr der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, scheint die Regel zu bestätigen:
Die Finanzmärkte sind zwar halbwegs stabilisiert. Die Schulden der Banken und Staatshaushalte sind nicht geringer geworden &ndash im Gegenteil; doch werden sie von Investoren wieder als Geldanlagen akzeptiert und gekauft. In Amerika, Deutschland und Teilen der EU gibt es ein kleines Wirtschaftswachstum. Aber: Das beruht ebenso wie die Haltbarkeit der Schulden ganz auf den außerordentlichen Garantien der Zentralbanken in New York und Frankfurt und der gigantischen Kredit- und Geldschöpfung, mit der sie diese Garantien untermauern. Jede Andeutung der FED oder EZB, zu normalen Usancen der Geldpolitik zurückkehren zu wollen, lässt Investitionen und Wachstum wieder abstürzen.
Auf dem Feld der Wirtschaftsdiplomatie ringen die großen Akteure darum, den „selbst tragenden“ Aufschwung, der einfach nicht kommt, mit politischen Mitteln zu erzwingen: Freihandelsabkommen der USA mit Asien – „TPP“ – und Europa – „TTIP“ – sollen der amerikanischen Wirtschaft andere Nationen und deren Potenzen verfügbar machen und Wachstumschancen erschließen; die Partnerstaaten lassen sich mit genau dem entgegengesetzten Kalkül auf Verhandlungen über erweiterte Handels- und Investitionsfreiheiten ein: Ihnen geht es um die Aneignung amerikanischer Kauf- und Finanzkraft für ihre Volkswirtschaften. Kein Wunder, dass die radikalisierte wechselseitige Öffnung diesseits und jenseits des Atlantiks größtes Misstrauen erweckt.
Auf dem Feld der militärischen Gewalt häufen sich Konfrontationen der großen Mächte. In Asien ermuntern und befähigen die USA Japan, Südkorea und andere Staaten durch militärische Rückendeckung dazu, den territorialen und Machtansprüchen Chinas drohend eigene Ansprüche entgegenzusetzen. Vor allem aber findet „der Westen“ und insbesondere die NATO zu neuem Lebenssinn in der Auseinandersetzung an gleich zwei sehr unterschiedlichen Fronten: Vom bundespräsidialen Wortgeklingel in Sachen deutscher Verantwortung für die Welt begleitet ist Deutschland Teil der westlichen Front in der Konfrontation mit Russland, die inzwischen mit Wirtschaftssanktionen neuen Kalibers, mit einer neuen Aufrüstung der östlichen NATO-Partner, Manövern im Schwarzen Meer usw. geführt wird. Im Nahen Osten schmieden die USA wieder einmal eine „Koalition der Willigen“, der sich diesmal auch Deutschland anschließt, und führen mit Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern und Drohnen sowie mit Verbündeten vor Ort eine neue Runde Krieg gegen den Terror.
Zugleich sorgt keiner dieser „Konflikte“ dafür, dass zwischen den westlichen Koalitionären einfach nur Einigkeit herrscht: Gerade ihre aktuellen Auseinandersetzungen geben für die USA und ihre europäischen Partner den Stoff für so manchen Zwist ab: Wie weit sollen die Sanktionen gegen Russland gehen? Welche weiteren Drohungen sollen mit ihnen verknüpft werden? Und vor allem: Was sollen sie überhaupt erreichen, was ist das strategische Ziel „des Westens“ im Verhältnis zu Russland? Und auch an der anderen Front herrscht alles andere als Einigkeit, obwohl doch da angeblich eineindeutig das Gute gegen den Abgrund des schlechthin Bösen kämpft: Was heißt Beteiligung an der Koalition gegen den islamistischen Terror eigentlich? Luftschläge mitmachen? Waffen schicken – und an wen? Es drängt sich der Verdacht auf, dass der neu erwachte Geist des westlichen Bündnisses von einer neuen transatlantischen Rivalität nicht nur begleitet, sondern getragen wird. Aber worin besteht die eigentlich?
Mit der scheinbar wieder bestätigten Regel, dass Krisen „zu Krieg führen“, ist also nichts begriffen. Der Zusammenhang versteht sich gar nicht von selbst. Es sind ja nicht die Wirtschaftskrisen und auch nicht die Konzerne, die nationale Feindschaften anordnen: Das tun schon die diversen Vaterländer. Und warum geraten die in Macht- und Unterordnungsfragen aneinander, wenn daheim und weltweit der Geschäftsgang stockt? Warum ist – „trotz aller historischen Erfahrung“ – die Krisenbewältigung kein Gemeinschaftswerk, sondern ein wüstes Gegeneinander dieser Staaten? Was hilft eine Auseinandersetzung um die Krim oder den Nahen Osten für den Aufschwung, der auf sich warten lässt – und soll sie dafür überhaupt helfen? Diese Fragen muss beantworten können, wer mehr behaupten will als die Erfahrungstatsache, dass schon manchmal nach einer Krise ein Krieg „ausgebrochen“ ist.