TTIP (26.10.2016)

Mi., 26. Oktober 2016, 19:30 Uhr
T-Rex des FH-AStA, von Steuben-Str. 10, 48143 Münster

Streit um TTIP in Zeiten globaler Krisenkonkurrenz:

Regierende Standortnationalisten zweifeln heftig an ihrer Freihandelskumpanei

Diskussion mit einem Referenten des GegenStandpunkt

Teilen deutsche Wirtschafts­politiker, die für den profitablen Absatz deutscher Diesel­autos auf der ganzen Welt jeden Umwelt-Beschiss ihrer Vorzeige-Konzerne mitmachen, auf einmal die Befürch­tungen, TTIP sei schlecht für die Umwelt? Wohl kaum!

Haben franzö­sische und deutsche Staats­leute nun Bedenken gegen TTIP wegen Ver­schlechte­rungen bei den Schutz­standards für lohn­abhängig Beschäf­tigte – obwohl der franzö­sische Staat die natio­nale Krise mit einem Groß­angriff auf die soziale Lage der arbeiten­den wie arbeits­losen Franzosen bekämpft und deutsche Politiker solche radikalen „Spar-“ und „Reform­programme“ seit Jahr und Tag für ganz Europa fordern? Wer soll das glauben?

Wenn jetzt führende Politi­ker in Europa und den USA gegen TTIP hetzen, dann kalku­lieren sie anders, als sie es bisher getan haben. Der Stand­punkt, von dem aus sie kalkulieren und an dem sich jeder Protest von unten noch stets die Zähne ausgebissen hat, ist ein und derselbe:

Es ist der über­all regierende Stand­punkt, dass die nationa­len Kapitale wachsen müssen – unbedingt. TTIP sollte dafür die Wunder­waffe sein: Mehr Kapital­wachstum durch mehr grenz­über­schreitende Frei­heit beim Handeln und Investieren. Darum ist TTIP ehr­licher­weise noch nie damit ange­priesen worden, mit ihm würden Löhne und Gehälter stei­gen, über­haupt die Lebens­verhält­nisse der Menschen angenehmer oder sauberer – darum ging es ja auch nie. Immer war klar, dass mehr Kapital­freiheit vor allem mehr Konkurrenz zwischen den Firmen bedeutet, die dafür ihr Personal auf wachsende Leistung zu sin­kenden Kosten trimmen; und mehr Konkurrenz zwischen den Staaten, die ihren Völkern per Dauer-„Reformen“ einen wachsen­den Leistungs­druck bescheren. Weil und solange diese Standort­politiker ent­fesselte Konkurrenz mit mehr trans­atlan­tischem Wachstum gleich­gesetzt haben, von dem sie für ihre Nation möglichst große Teile sichern wollten, war für sie auch klar: Umwelt-, Sozial- und sonstige Standards sind Konkurrenz­hemm­nisse, also Wachstums­hemm­nisse, also gehören sie weg – eine schöne Auskunft aus berufenem Munde darüber, was diese Standards tatsäch­lich immer schon in erster Linie sichern sollten.

Wegen der welt­weiten Wachstums­krise des Kapitals zweifelt dieser poli­tische Standpunkt am nationalen Nutzen der TTIP-Koopera­tion mit den trans­atlantischen Kon­kurrenten. Mehr trans­atlantisch vereinbarte Kapital­freiheit erscheint vielen von den gleichen Politikern jetzt nicht mehr als das Mittel für mehr Wachstum. Immer mehr stellen sie sich auf den Stand­punkt, dass Wachstum für ihre natio­nalen Kapitale nicht als Anteil an einem trans­atlantischen Gesamt­wachstum zu haben ist, sondern nur noch durch das Weg­nehmen und die nationale Mono­poli­sierung von Geschäfts­gelegenheiten, durch das Abwälzen von Krisen­folgen auf die anderen. Darum kommt ihnen ihre bislang gepflegte imperia­listische Kumpanei zugunsten ihrer Kapitale vor wie der Ver­zicht auf die nationalen Waffen für die ruinöse Krisen­konkurrenz, in die sie ihre Standort­konkurrenz – stets vernied­lichend und ver­fremdend „Globali­sierung“ genannt – nun um­schlagen lassen. Und in der für die gewöhn­lichen Leute erst recht nichts anderes vor­gesehen ist als maximale Dienst­bereitschaft zu minimalen Kosten.

West- und ostatlantische Führer sind ent­schlossen, die Krisen­konkurrenz zum Nutzen der eigenen, also zum Schaden der anderen Nationen zu bestehen. Darum kommt es ihnen auf Durch­setzung pur gegen die anderen an, also auf die an nichts relativierte Souveräni­tät ihrer Macht. Jede ökono­mische Nutzen-Schaden-Rechnung über­führen sie deshalb in die Gretchen­frage, wer sich von wem überhaupt Be­dingungen gefallen lassen muss, wer wem gene­rellen Respekt und Entgegen­kommen – egal in welcher bestimmten Frage – abringen kann: Erkennt Europa endlich ohne Abstriche die Führungs­macht der USA an – fragen die Amerikaner. Erweisen die USA der EU endlich wirk­lichen Respekt auf Augen­höhe – fragen die Europäer. Ihre ökono­mische Abhängig­keit von­einander bringt alle immer weniger auf berech­nende Koopera­tion und immer mehr auf einen Kampf gegen­einander, der sich pur um Über- oder Unter­ordnung dreht.

Ihre Völker ermuntern die Mächtigen nach Kräften dazu, ihnen Daumen zu drücken dafür, dass sie sich in diesem Kampf durch­setzen, für den die Leute – so oder so – aus­schließ­lich in der Rolle der mög­lichst billigen Manövrier­masse verplant sind.